Die Tür geht nicht mehr zu (Seminar 1 und 2)

Mein erstes Retreat und damit mein erster Einblick in die Welt des Buddhismus liegen hinter mir. Ebenso mein bisheriges Weltbild, das ich in dieser Zeit nach und nach eingestampft habe. Und wow! Es fühlt sich toll an – die Last von Tonnen von Gedanken landet innerhalb von 2 Wochen einfach auf dem Müll. Wie kann das sein?

Es begann schon mit meiner ersten Begegnung mit Rinpoche. Als er am 15. Mai 2013 vor dem Seminarhotel Jonathan aus dem Auto stieg, schwappte eine Welle von Liebe, Güte und Verstehen über uns hinweg und ich bekam den Mund nicht mehr zu. Es folgten 2 Wochen, die so intensiv waren, dass ich sie unmöglich in Worte kleiden kann. So vielschichtig waren die Belehrungen von Rinpoche, wie auch lustig, ergreifend und inspirierend. Und so lockten sie auch die eigenen emotionalen „Monster“ an die Bildoberfläche. Seine Worte „you need guts!“ sind ernst zu nehmen!

Worum ging es in diesen 2 Wochen inhaltlich? Um innere Heilungsprozesse und darum, wie wir nach der Heilung den Weg zur Befreiung antreten können. Zum Teil waren es Inhalte, die ich von Büchern, Freunden oder Familie schon häufig gehört hatte, aber auf einmal begannen diese Worte mein Herz zu berühren. Nein, was passierte, war noch viel interessanter: die Herzensberührung krachte mit voller Wucht auf massiven, intellektuellen Widerstand. Omnipräsente Weisheitsfelder? Wiedergeburt? Von Samsara loslassen? Die Suche nach dem Sinn übertrieben? Das schmolz auf einmal mein ganzes Weltbild auf ein Nichts zusammen, ein Nichts ohne Boden, ein großes Fragezeichen. Wollte ich das zulassen? Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten ist. Dann segnete Rinpoche nach der ersten Woche jeden Einzelnen von uns und es flossen die Tränen. Mein Herz hatte gewonnen. Ich wandte mich voller Hingabe der Lehre zu und erkannte sie als meine Wahrheit. Und was dann passierte, wird mir erst jetzt langsam aber sicher klar.

Rinpoche hat mich gelehrt, die Erscheinungen in unserer Welt mit einem spielerischen, humorvollen Blick zu betrachten. Denn während die Dinge erscheinen, sind sie leer und während sie leer sind, erscheinen sie. Genau diesen Humor demonstrierte Rinpoche jeden Tag aufs Neue in seinen Teachings. Er lehrte mich, dass wir nur eine Aufgabe im Leben haben, auf die es wirklich ankommt: die Natur des Geistes erkennen und Bodhicitta erwerben. Alles und wirklich alles andere ist gleichgültig, ist vergänglich, ist Samsara. Auf einmal war es egal, ob ich dick oder dünn war oder wohlhabend, ob ich einen Partner oder liebevolle Eltern, eine angesehene gesellschaftliche Stellung oder etwas Sinnvolles studiert habe. Es kommt einzig darauf an, Mitgefühl zu praktizieren. Auch das hatte ich so oft gehört. Aber wie sollte das gehen? Ich weiß nicht, was Rinpoche letztlich bei mir bewirkt hat, aber auf einmal war es klar. Ich sah zu ihm auf und hatte das Gefühl zu verstehen – ich kann nicht mal sagen, was. Vielleicht ist es auch die Vorstellung, dass wir alle die Buddha-Natur in uns tragen und diese nur von Verblendungen getrübt ist – und dadurch sind wir perfekte lichthafte Wesen, die vor essentieller Liebe strahlen. Vielleicht war es auch die Vorstellung, dass aufgrund der Reinkarnationen jedes Wesen schon einmal meine Mutter gewesen war. Vielleicht auch die Auffassung, dass jeder Mensch, der sich mir als zornvoll und schwierig zeigt, als Bodhisattva auf meinem Weg erscheint, um mich auf meine Geistestrübungen hinzuweisen. Auf jeden Fall war auf einmal so viel Liebe und Leichtigkeit in meinem Blick auf die Geschehen der Welt, so viel Versöhnung und die Last der heutzutage so unendlich hohen Erwartungshaltung der Gesellschaft fiel von mir ab. Ich hörte einfach auf zu kämpfen. Der Kampf ist sinnlos. Denn alles, was uns erscheint, ist traumgleich. Warum für einen Traum kämpfen, wenn die Natur des Geistes uns doch aus diesem Traum aufwachen lassen kann, der doch für so viele von uns vielfach eher einem Alptraum gleicht?

Ich bin nicht mehr die, die ich vor 2 Wochen noch gewesen bin. Jemand, etwas hat mich bis ins tiefste Innere berührt – Rinpoche hat eine Tür aufgemacht und ich blinzle derzeit ganz vorsichtig zu den hereinfallenden Lichtstrahlen. Manchmal kommt ein Windstoß und die Lichtstrahlen verschwinden wieder für einen kurzen Moment hinter der sich schließenden Tür, aber eines bin ich mir gewiss: diese Tür wird nie wieder zugehen, und ich bin voller Freude auf den Tag, an dem ich bereit bin und diese Türschwelle passieren werde.

Eine Schülerin aus Mainz